Auswachsen, kleine Katastrophen und ein schönes Buch

Auswachsen

Seit einigen Monaten scheint nächtliches Wachsen bei meiner Tochter nicht mehr vor zu kommen. Jedenfalls lese ich das aus den Blutzuckerwerten so ab. Wann ist ein Mensch eigentlich ausgewachsen?

Laut Wachstumstabelle haben Mädchen mit 13 nicht mehr soviel Wachstum vor sich. Sehr erleichternd für eine Zuckermutter. Meine Tochter ist jetzt fast 170 cm groß und wird in ein paar Monaten 13 Jahre alt, ein echter Teenager dann. Die Phasen mit nächtlichen Blutzuckerspitzen sind erst mal vorbei. Dazu ein HbA1c von 6,9. Und das alles im Selbst-Management meiner Tochter, die keine Lust mehr hat, mir jedes Detail kund zu tun. Kurzum: Ich bin zufrieden mit meiner Zurückstufung zur Teststreifenbestellerin.

Fehler im Blutzucker-Management hinnehmen

Vor ein paar Tagen kam ich heim und wurde trotzdem noch mal böse überrascht. Diabetes-Tochter lag auf der Couch und ihre Zwillingsschwester begrüßte mich total gelassen (wo nimmt das Mädchen diese Ruhe nur her?) mit dem Satz: „Mama, Liv hat voll den Unterzucker – 43. Ich hab ihr schon was gegeben, aber irgendwie erholt sie sich nicht.“

Einen so niedrigen Blutzucker hatte meine Tochter ewig nicht mehr, auf jeden Fall  war da was schief gegangen. Sehr schief! Schnell nochmal messen! Trotz Traubenzuckergabe lag der Wert nun bei 33. Mittlerweile machte das Kind auch einen verwirrten Eindruck. Vorsichtshalber legte ich die Glucagonspritze bereit. Nach mindestens 4 KE Saft und Traubenzucker und einer geistigen Erfrischung der Jugendlichen erfolgte die Fehleranalyse. Zum allerersten Mal hatte meine Tochter den Bolus für das Mittagessen doppelt abgeben. Ich machte mir kurz Vorwürfe, aber es bringt ja nichts.

Mein Kind wird groß und ich kann es irgendwann vor solche Fehlern nicht bewahren. „Die muß das bald irgendwie alleine hinbekommen!“ bete ich mir selbst vor, wenn das Gewissen an mir nagt.

Trotzdem bin ich froh regelmäßig gegen 15.30 Uhr nach Hause zu kommen. Und die gute alte Glucagonspritze, die ja doch nie benutzt wird, ach, ist doch gut, dass sie so schön im Kühlschrank vor sich hin wohnt. So kann ich mich wenigstens der Illusion hingeben, ein bisschen was an Fehlern abfedern zu können.

Ein schönes Buch – für mich
Das Buch von Antje Thiel
Ein Buch zum Schmökern!

Trotz der ziemlich großen Sicherheit im Diabetes-Management, so richtig interessiert ist meine Tochter aber an ihrer Erkrankung nicht. Eigentlich ist der Diabetes eher lästig. Als gute Mutter würde ich mir mehr Begeisterung für diabetische Fachthemen wünschen, aber sie ist ja erst 12. Letztens fiel mir das Buch „In guten wie in schlechten Werten“  von Antje Thiel in die Hand. Ich fand es wirklich toll, ein lesenswertes Buch. Sehr ansprechend gestaltet. Es berichtet auf einfühlsame Art über Menschen, die versuchen, den Diabetes in ihr Leben zu integrieren. Sehr tröstlich für eine Mutter wie mich, die die letzten 11 Jahre um die gelungene Blutzuckereinstellung gekreist ist, wie ein Gläubiger um das „goldene Kalb“.

Da die Betroffenen mit dem Diabetes die meiste Zeit alleine herum fuhrwerken, tut es gut, mit zu bekommen, wie es anderen in vergleichbaren Situationen geht. Es wäre schön, wenn „In guten wie in schlechten Werten“ auch Lehrer, Erzieher, Mitarbeiter der Krankenkassen oder Arbeitgeber erreicht.

Gleich will ich die Begeisterung für das Buch an meine Tochter weitergeben: „Schau mal, willst du dieses sehr interessante, voll coole Buch auch mal lesen? Ist ganz neu!“, “Nö!“ Zack – verschwindet Töchterchen wieder ins Zimmer, um sich intensiv mit irgendwelchen Teenagerinnen-relevanten Themen zu beschäftigen.

Okay, muss ich wohl auch hinnehmen, so eine Erkrankung ist ja auch kein Hobby. Aber das Buch von Antje, das kann ich wirklich weiter empfehlen.